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Das Pasquill am Scheunentor

Als das Cybermobbing noch nicht erfunden war

 Nur wenige Schönderlinger erinnern sich noch an den Gebrauch von Pasquillen. Auch der Begriff ist kaum noch geläufig. „Flugblatt“ oder „Aushang“ wären wohl moderne Synonyme. Oder „anonyme Kettenmail“ im Zeitalter des Internets.

Daher zunächst eine Begriffsklärung:

Ein Pasquill, so sagt es das Lexikon, ist eine „Schmäh- oder Spottschrift, die verfasst wird, um eine bestimmte Person zu verleumden oder in ihrer Ehre zu verletzen“.

Der Wortursprung stammt von einem Schneider namens „Pasquino“ ab, der im 16. Jahrhundert in Rom lebte, und ebensolche Schmähschriften an eine Statue anheftete. Schon bald machte diese Art der Meinungsverbreitung Schule und fand ihre Nachahmer.

Was im 16. Jahrhundert also offenbar in Rom seinen Ursprung hatte, fand erstaunlicherweise seinen Weg auch bis ins Schönderling des 19. und 20. Jahrhunderts. Streitigkeiten gab es im Dorfverband wohl schon immer und das Verfassen eines Pasquills mag für manch einen ein mögliches Ventil zum Ablassen von aufgestauten Emotionen gewesen sein.

Der Dorfälteste, Josef Gerlach, besser bekannt als der „Schneidesch Seppl“, erinnert sich noch gut an ein Pasquill, welches in den späten 1920-er Jahren an der „Jogge Scheuer“ angeheftet war.

„Die stand direkt am Weg nach Schondra. Die Schönderlinger Kirche wurde ja erst 1931 gebaut.  So kam jeder auf dem Kirchgang nach Schondra hier automatisch vorbei.“ An den Inhalt des Pasquills kann sich Gerlach auch im Alter von 93 Jahren noch gut erinnern.

Auch an denjenigen, dem die Schmähschrift gewidmet war, kann er sich noch bestens entsinnen. „Er hat immer viel lamentiert“, begründet Gerlach die Aufschrift der Schmähschrift, „obwohl er es nicht nötig gehabt hätte“.

So stand also auf dem Pasquill zu lesen:

„Ein jeder, der vorübergeht, möge ein Scherflein geben für den nothleidenen Hans“.

Darunter war sogar ein Opferstock angebracht. Einige Münzen hätten sich tatsächlich darin gefunden, wusste er.

Naturgemäß ist der Verfasser einer solchen Schrift, der sogenannte Pasquillant, nicht besonders erpicht darauf, erkannt zu werden. Das ist wohl auch der Grund, warum Pasquille immer über Nacht aufgetaucht sind. Man hängte sie an öffentlichen Plätzen auf, eben überall, wo viel Publikumsverkehr war.

Walter Schuhmann aus Schönderling weiß von gleich drei Pasquillen zu berichten. Der 81jährige hat sie von seinem Vater überliefert bekommen.

So wurde im Dorf ein Bauer zum Waldaufseher ernannt, was einigen Leuten im Dorf offenbar nicht passte. Kurz darauf fand sich ein Pasquill im Dorf. Ein Teil des Inhalts ist noch mündlich überliefert:

„En Strieck midd em Rind stuun em besser als die Flint“.

Der Rest der Spottschrift war nicht gerade zimperlich und spielte auf seine Herkunft als uneheliches Kind an.

In einem weiteren Fall wollte offenbar jemand in einer alten Debatte das letzte Wort haben:

Die Einrichtung des Schönderlinger Friedhofes stieß seinerzeit nicht bei jedem auf Gegenliebe. Einer der Gegner des Projektes war ein Mann namens Halbleib. Als dieser später verstarb, konnte man überall im Dorf (sinngemäß) lesen:

„Ein Jeder kommt auf den Friedhof, und zwar nicht nur mit seinem halben Leib, sondern mit seinem ganzen Leib“.

Auch im Zuge einer Bürgermeisterwahlkampagne tauchte ein Pasquill auf. Offenbar waren die Verspotteten recht spendabel aufgetreten.

„Der Anton und der Wendel (Abkürzung für Wendelin) – was mache die für Händel.
Schnaps und Bier sind teuer, Zigarette koste Steuer“.

Auch in Platz gab es solcherlei Aushänge.

Ob der Begriff „Pasquill“ allerdings dafür gebraucht wurde, war bislang nicht herauszufinden.

Eine Zeitzeugin hat als sich als junges Mädchen die Mühe gemacht, den ausgehängten Spruch abzuschreiben. Er war im Jahre 1955 in Platz an einem Backofen angeschlagen. (Alle erkennbaren Namen wurden vom Autoren ausgeblendet)

Willst du dicke Rüben sehen,
musst zum …feld rauf du gehen.
Dort hat Rüben dick und üppig unser ….
Gehst du dann ein Stückchen runter,
ei was steht da für ein Plunder.
Rüben auch Kohleraben,
was werden die für´n Herrn wohl haben?
Doch man hat die Sach´ bald spitz,
sie gehör´n dem …

Geht man dann ein Stückchen rüber,
ei´ was steht da für ein kühner,
dicke und auch dürre Rübchen,
die schauen wie die kleinen Bübchen.
Als Blätter haben sie nur Laub
ihr Chef ist …

Der … zu seim Frauchen spricht,
das was mit unsren Rüben ist,
das macht die Jauche und der Mist.
Und dann – oh weh, er macht ´nen Finger,
auch der gute Handelsdünger.

Das macht Rüben dick und rund,
eine wiegt bald 20 Pfund.